Es war Samstag – 10 Uhr- als mein Handy klingelte.
Ich hatte 6 Stunden zuvor das Sommerfest um 3.30 Uhr mit meinem Kollegen beendet und war ins Bett gefallen.
Völlig entspannt lag ich im Land der Träume und nüchterte die 12 Stunden Feier langsam aus.
Das ging, weil meine Frau mit den Kindern seit einer Woche in Frankreich ihre Schwester besuchen war. Mit dabei war noch eine weitere Schwester aus Köln mit ihrer Tochter.
Alle zusammen sollten Samstag Nachmittag wieder zurück sein.
Ich benötigte eine Weile, bis mein Ohr im Land der Träume jemanden erreichte und das Gehirn verstand, dass wenn es klingelt, dies nur meine Frau sein kann. Weil anderen Stumm geschaltet sind.
Ich schaute auf Handy.
Meine Frau…….
Echt jetzt? Um mir mitzuteilen, dass sie jetzt im Zug sitzt?
Ich hob ab und sie gleich:
Schatz, ich bin im Zug und der ist einfach losgefahren. Die Kinder sind noch am Gleis!
Es ist faszinierend. Ich war noch was angesäuselt und völlig schlaftrunken. Unter normalen Umständen hätte ich es nicht mal auf die Toilette geschafft. Aber als die Information etwas verzögert von meinem Ohr im Kopf ankam und verarbeitet wurde, war ich schlagartig wach!
Sie erzählte mir, dass Sie mit Ihrer Schwester am Gleis standen (in Paris). Die Menschen strömten in den Zug.
Problem ist, dass gleich am Eingang die Kofferplätze sind. Und so räumt jeder seine Koffer ein und geht dann zu Platz.
Meine Schwägerin blieb mit den drei Kindern draußen und reichte Koffer und Kinderwagen rein. Meine Frau nahm sie an und verstaute sie.
Und nach dem letzten Koffer und Kinderwagen macht es
Piep …….. Piep …….. Piep …….
Die Türen gingen zu und der Zug fuhr los.
Man muss dazu wissen, dass man am Bahnhof Paris Nord nur am Gleis stehen kann, wenn man ein Ticket hat. Selbst Begleitpersonen kommen nicht auf das Gleis.
Daher hätten Schaffner und Zugführer dies sehen können. Auch wurde nicht vorher gepfiffen oder Ähnliches.
Meine Schwägerin winkte, rief – meine Frau versuchte die Türen zu öffnen – aber nichts half.
Der Zug fuhr los.
Alle drei Kinder fingen an zu weinen und meine Schwägerin wusste auch nicht, wie ihr geschah.
Meine Frau hat dann richtig reagiert und sich den Zugführer geschnappt und das geregelt.
Meine Schwägerin ist dann mit den Kindern in einem anderen Zug kostenlos bis nach Brüssel gefahren.
Der Thalys meine Frau hielt dort auch. Dort zusammen gefunden, fuhren sie dann mit dem nächsten Thalys nach Köln.
Dort angekommen vergingen zwischen Abfahrt, Schrecken und Ankunft rund 6 Stunden. Die Kinder waren durch. Und den Schreck sah man ihnen immer noch an.
Mein Sohn weicht uns seitdem nicht mehr bei Ausflügen von der Stelle. Er meinte auch zu mir aus dem Nichts an der Kinokasse am Sonntag:
Papa, wenn wir in den Urlaub wieder fahren, dann nicht mehr mit dem Zug.
Was lustig klingt, war voller Sorge ernst gemeint. Auch meine Tochter hat die Nacht bei uns im Bett geschlafen, weil sie das immer noch beschäftigt hat.
Für uns Erwachsene eine Abendgeschichte mit Happy End.
Für meine behüteten Kinder eine schreckliche Erfahrung.
Hmm, schwierige Geschichte für die Kinder. Für’s nächste Mal: Erst den Nachwuchs, dann die Fracht verladen. Wie auch auf jedem Parkplatz.
Ich sehe fast jeden Tag mit Grauen, dass kleine Kinder völlig unbeaufsichtigt auf Parkplätzen rumrennen, während die Eltern mit Handy und Umladen der Einkäufe voll ausgelastet sind. Ein plattgefahrener Einkaufswagen macht etwas Stress und Arbeit, aber das war’s dann. Denken die Leute nicht darüber nach, wie schlecht kleine Kinder auf Parkplätzen zu sehen sind?
Geplant als schulpflichtiges Kind alleine mit dem Zug zu fahren war für mich immer ein großes Abenteuer. Von Frankfurt am Main bis nach Hause an die Nordseeküste, mit einem durchgehenden Zug. Zugegeben, das ist ein paar Jahrzehnte her, da war die Bahn noch ein Staatsunternehmen und keine marode AG, nach der Bahn konnte man meistens noch die Uhr stellen, und das Bahnpersonal hatte genug Zeit, ein Auge auf allein reisende Kinder zu haben. Im Rückblick bewundere ich den Mut meiner Eltern, mich das machen zu lassen. Wahrscheinlich hat meine Tante, bei der ich die Sommerferien verbracht habe, da im Hintergrund sehr viele intensive Gespräche geführt, denn meine Mutter war eine echte Glucke.
„Für uns Erwachsene eine Abendgeschichte mit Happy End. Für meine behüteten Kinder eine schreckliche Erfahrung.“
Warum? Das erinnert mich ein wenig an Rod und Todd Flanders aus den Simpsons. Total überbehütet und kaum alleine lebensfähig.
In der Situation hätte ich auf dem Bahnsteig Deiner Frau auch erstmal ein paar Sekunden komplett verblüfft hinterher gesehen. Aber verdammt noch mal, dann macht man nicht den Ned Flanders, labert Blödsinn und verschreckt die Kinder. Hirn einschalten, Plan B improvisieren! „Hui, da war aber der Lokführer in Eile. Ich glaube, wir drei haben heute noch ein kleines Abenteuer vor uns.“ Und selbst wenn man innerlich kurz vor einer Panik ist, läßt man sich das nicht anmerken. Handy zücken, Frau im Zug anrufen, Treffpunkt organisieren, Bahn-Leuten auf die Füße treten. Ziemlich genau das, was ohnehin passiert ist. Aber das verkauft man den Kindern als Abenteuer, nicht als Katastrophe. „Wißt ihr was? Wir fahren heute umsonst mit dem nächsten Zug hinterher und treffen eure Mama am Bahnhof Sonsterwo.“
Und wenn die Kinder endlich zuhause angekommen wären, hätten sie Dir von einem riesigen Bahn-Abenteuer und einer Gratis-Bahnfahrt mit der Schwägerin erzählt. Statt sich weinend in einer Ecke zu verkriechen.
Mit dem Parkplatz stimme ich dir zu. Aber wenn die Schwester die Kinder am Gleis in der Hand hat, ist das ok.
Weder meinen vierjährigen Sohn, noch meine sechsjährige Tochter setze ich heute allein in einen Zug. Sie können nicht mal lesen.
Wenn deine Eltern dies getan haben, ist das auch ok. Aber für meine nicht!
Und nein, ein vierjähriger ist kein Flender, sondern ein Kleinkind. Meine Tochter mit 6 ist eher Lisa Simpson. Und die wäre auch erst mal geschockt gewesen.
Ich finde es faszinierend, wie ich immer mit Menschen über die Erziehung meiner Kinder diskutiere, die von selbst von emotional kalten Nachkriegseltern groß gezogen wurden.
Und was meine Schwägerin angeht. Sie hat ein Kleinkind auf dem Arm das Schreit wie eine Sirene, meine Kinder fangen an zu weinen, da darf man auch mal überfordert sein!
Ich hätte auch anders reagiert, maße mir aber nicht über andere in einer solchen Situation zu urteilen.
Das sehe ich genauso. Man lässt die eigene Panik die Kinder nicht sehen. Und sie standen da auch nicht alleine, sondern immerhin mit Tante/Mutter am Bahnsteig. Daraus hätte man wahrlich eine spannende Reise machen können anstatt ein Drama mit Tränen und Angst.
Ich hoffe, dass die Kids die Fahrt gut verarbeiten und bald vergessen können.
Mittlerweile ist es eine spannende Geschichte, aber ansonsten, siehe Kommentar vorher 😉
Puh, wenn ich die Kommentare hier lese, frage ich mich echt, ob es eigene Kleinkinder in der Familie gibt.
Natürlich weint ein 4-Jähriger in einem fremden Land, wenn auf dem Bahnhof die Türen zu gehen und der Zug mit Mama weg fährt. Da kann die Tante noch so cool reagieren und ein Abenteuer draus machen. Der Schock ist erstmal da und muß begleitet werden.
Das ist normal und okay. Selbst wenn man daraus ein Abenteuer macht, müssen die Kinder dieses Spiel auch erstmal annehmen. Tür zu, Zug mit Mama weg. Das ist für Kinder in dem Alter wie ein schwerer Verkehrsunfall. Da gibt es keine Ratio in einem kleinen Kinderkopf. Erklären und Begleiten ist dann wichtig.
Gefühle runterspielen ist echt furchtbar. So bringt man seinen Kindern nur bei, dass man sie nicht ernst nimmt.
Aufklären, dass es in einem Deutschen Zug nicht so schnell passieren kann (Zugbegleiter schauen ob der Bahnsteig leer ist und pfeifen dann etc.) und dem Kind das Gefühl geben, dass alles in Ordnung ist, ist wichtig. „Wir kommen gleich wieder zu Mama, wir müssen mal schauen wie es geht. Es ist okay, dass du dich jetzt nicht gut fühlst.“ und dann Trösten und mit Mama Telefonieren.
Alle, die nicht in so einer Situation waren, können natürlich jetzt große Töne spucken,wie cool sie das gelöst hätten.
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass drei weinende (Klein-)Kinder in einem Land, in dem ihr die Sprache nicht richtig sprecht, auch euch im ersten Moment überfordert hätten. Aber im Netz kann man ja schnell einen auf dicke Hose machen!
Heiko, wenn du mal etwas Zeit hast, fahre mit deinem kleinen Mal zu einem Fernbahnhof, an dem ICEs halten und lasse ihn beobachten, wie der Schaffner vor der Abfahrt den Bahnhof kontrolliert. Die Situation, dass er nicht selbst Zug fahren muss und dann das sieht, schafft vielleicht wieder etwas Vertrauen in das Verkehrsmittel. Ansonsten macht ihr es richtig und die Kinder haben eine gute Bindung zu euch. Sonst würden sie jetzt nicht bei euch Sicherheit „tanken “ Lass die anderen klugscheißen 😉
Interessant, dass man direkt klugscheißt, wenn man eine andere Meinung vertritt als der Threadersteller. Ja, es gibt sicher solche und solche Erziehungsmethoden und ich bin sicher nicht von empathielosen Boomern erzogen worden noch erziehe ich meine Kinder empathielos oder untersage, Gefühle zu zeigen. Ganz um Gegenteil! Natürlich ist man erstmal geschockt, unbestritten. Aber man kann doch regulierend auf die Kinder einwirken und eben dieses Abenteuer draus machen.
Du antwortest zwar Maxfin, beziehst dich aber auch auf meine Einwände – Daher auch meine Antwort dazu.
Ich stimme dir zu. Auch ich wäre anders damit umgegangen.
Aber es ist eben anders gelaufen und meinen Kindern war dies so ein Schrecken.
Jeder geht mit Stress eben anders um. Meine Schwägerin hat dennoch funktioniert und am Ende waren wieder alle zusammen.
Ich würde ihr aber nie einen Vorwurf daraus machen, weil jeder mit Stress anders umgeht.